Forschungsstelle Sudetenland – Forschungsregion Böhmen

Der Name leitet sich von dem keltischen Stamm der Boier ab. Um 550 wanderten Slawen von Osten her nach Böhmen ein. Karl der Große versuchte, Böhmen zu erobern, letztlich vergeblich. Allerdings verpflichtete sich ab 806 das Land zu Tributzahlungen. Ab den 870er Jahren dominierte das Großmährische Reich den böhmischen Raum. 890 ließ sich der Mährerfürst Svatopluk I. vom ostfränkischen König Arnulf von Kärnten die Vorherrschaft über Böhmen legitimieren. Ende des 9. Jahrhunderts wurde das Großmährische Reich durch einen Bürgerkrieg sowie Angriffe der Ungarn, Bayern und Böhmen stark geschwächt und ging Anfang des 10. Jahrhunderts unter.

Die böhmischen Fürsten der Přemysliden-Dynastie herrschten in Böhmen zunächst unter mährischer Oberhoheit. In diese Zeit des 9. Jahrhunderts fällt die Christianisierung Böhmens einerseits vom Fränkischen Reich aus, besonders von Regensburg und Passau, andererseits durch die „Slawenapostel“ Methodius und Kyrill von Saloniki, die Mähren und teilweise auch Böhmen in den Einflussbereich der östlichen Kirchen brachten und die altkirchenslawische Schriftsprache verbreiteten. Kaiser Otto I. gründete 973 für Böhmen, bisher Teil des Bistums Regensburg, ein eigenes Bistum mit Sitz in Prag. Es gehörte zur Kirchenprovinz Mainz und umfasste, nachdem 1000 Schlesien und Kleinpolen zum Bistum Gnesen und 1063 Mähren zum Bistum Olmütz kam, das Herzogtum Böhmen, das Glatzer Land und Zittau. Parallel dazu setzten sich die in Mittelböhmen lebenden Tschechen unter den Přemysliden als beherrschender Faktor im Land durch und entwickelten ihre Residenzstadt Prag zum Zentrum Böhmens. Ihr Machtbereich beschränkte sich zunächst auf die mittelböhmische Region. Die böhmische Königswürde, 1085 Vratislav II. persönlich verliehen, schuf eine Sonderstellung Böhmens im Heiligen Römischen Reich. Lange Zeit mächtigster Fürst, war der böhmische König einer der sieben Kurfürsten, die nach der Goldenen Bulle (1356) den römisch-deutschen Königs wählten.

Spätestens ab dem 10. Jahrhundert lebten in Prag bedeutende deutsche und jüdische Gemeinschaften. Im 13. Jahrhundert begann in manchen Teilen eine intensive Besiedlung durch deutsche Siedler und Bergleute. Auch in vielen Städten Innerböhmens lebten ab dem 12./13. Jahrhundert Deutsche und Tschechen zusammen.

Unter Ottokar II. erreichte die přemyslidische Herrschaft ihre größte Ausdehnung: Er war böhmischer König, Herzog von Österreich,der Steiermark, von Kärnten und Krain. Da er die Eroberungen des Deutschen Ordens unterstützt hatte, nannte man das ostpreußische Königsberg zum Dank nach ihm. Mit der Ermordung Wenzels III. 1306 in Olmütz endete die Přemyslidendynastie und 1310 kam die Dynastie der Luxemburger mit Johann auf den böhmischen Thron. 1347 folgte ihm sein Sohn Karl, der spätere Kaiser Karl IV., als König von Böhmen nach. Er bewirkte 1344 die Erhöhung des 973 gegründeten Bistums Prag zu einem Erzbistum, das dadurch aus der Kirchenprovinz Mainz ausschied. 1348 gründete Karl IV. die nach ihm benannte Karls-Universität in Prag als erste Universität auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches nördlich der Alpen. Zu jener Zeit war die böhmische Hauptstadt das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Mitteleuropas. Das böhmische Königreich bildete das Machtzentrum, benachbarte Territorien inkorporierte er zur Krone Böhmens. So verzichtete 1335 Kasimir der Große von Polen auf Schlesien. Seit dem 14. Jahrhundert gehörten deshalb Schlesien, die Lausitzen sowie zeitweise die Mark Brandenburg und auch Teile der im Norden der heutigen Oberpfalz liegenden Gebiete (sog. Neuböhmen) zu den Ländern der böhmischen Krone. Karl IV. betrieb eine ausgleichende Nationalitätenpolitik: Er schützte und förderte die Deutschen in Böhmen, verlangte von ihnen aber, dass sie ihre Kinder zweisprachig, deutsch und tschechisch, erzögen.

Zur Zeit seines Todes im Jahr 1378 erreichte die deutsche Besiedlung Böhmens einen Höhepunkt und ging bald wieder zurück. Wirtschaftlich war Böhmen unter den Luxemburgern eine der führenden Regionen Europas. In Prag waren gleichzeitig mit dem Prager Kanzleideutsch Grundlagen der modernen deutschen Sprache und durch die Feder des religiösen Reformators Jan Hus Grundlagen der modernen tschechischen Sprache gelegt worden. Nach seiner Verbrennung 1415 in Konstanz trotz der Zusage freien Geleits begannen 1420 die Hussitenkriege, in denen sich nationale, soziale und konfessionelle Spannungen entluden. Betroffen waren neben katholischen Städten, Klöstern und Burgen im Land auch Bayern, Schlesien, das Glatzer Land, Österreich, die westlichen Slowakei, Brandenburg und Pommern. Trotz der Niederlage der Taboriten in den Schlachten von Lipan und von Brüx 1434 erhielt 1436 im Iglauer Abkommen die hussitische Bevölkerung eine begrenzte Glaubensfreiheit. Dieses Abkommen hielt Georg von Podiebrad, 1458 zum König von Böhmen gewählt, ein und versuchte den Frieden in Böhmen zwischen der hussitischen und der katholischen Seite zu erhalten. Papst Paul II. erklärte ihn deshalb 1466 zum Ketzer. Es folgte sofort ein Aufstand, den Podiebrad 1467 unterdrücken konnte, aber zwei Jahre später, 1469, unterzeichnete er einen Nachfolgeschaftsvertrag mit dem polnischen König Kasimir IV., weil der ungarische König Matthias Corvinus Böhmen militärisch eingenommen hatte und sich 1469 zum böhmischen Gegenkönig hatte wählen lassen. Nach dem Tod Podiebrads wählten die Stände Böhmens den polnischen Prinzen Vladislav II. 1471 zum König von Böhmen. Den Krieg gegen den Gegenkönig Matthias Corvinus beendete er 1479 mit dem Frieden von Olmütz. Matthias konnte die böhmischen Nebenländer Mähren, Schlesien, Ober- und Niederlausitz behalten. Beide durften den Titel „König von Böhmen“ führen. Mit Matthias Tod 1490 konnte Vladislav vertragsgemäß alleiniger König von Böhmen werden. Die nach ihm benannte und im Jahr 1500 vom Landtag verabschiedete Vladislavsche Landesordnung sicherte den böhmischen Herren und Rittern weitgehende politische Mitspracherechte und gilt als älteste geschriebene Verfassung Böhmens. Mit dem Tod Ludwigs II. 1526 endete die Dynastie der Luxemburger und die Stände wählten seinen Schwager Ferdinand I. von Habsburg zum böhmischen König. 1547 kam es im Zusammenhang mit dem Schmalkaldischen Krieg zu einem protestantischen Ständeaufstand, der auch den Oberlausitzer Pönfall auslöste. Die Confessio Bohemica, 1575 auf Betreiben der protestantischen Stände verfasst, sollte alle evangelischen Strömungen im Land unter einem theologischen Dach vereinen. 1618 rebellierten die evangelischen Stände gegen Kaiser Matthias wegen ihrer im sogen. Majestätsbrief (1609) zugesicherten Rechte. Der Prager Fenstersturz war der Auslöser für den Ständeaufstand in Böhmen und damit für den Dreißigjährigen Krieg. Nach dem Tod des Kaisers im März 1619 sagten sich die Stände der böhmischen Länder von den Habsburgern los, schufen sich eine neue Verfassung und wählten den Calvinisten Friedrich von der Pfalz zum König.

In der Schlacht am Weißen Berg (Bílá hora) am 8. November 1620 unterlagen die böhmischen Stände unter ihrem König Friedrich von der Pfalz den Truppen der katholischen Liga. Friedrich, der sogenannte Winterkönig, musste aus Böhmen fliehen, Kaiser Ferdinand II. konnte seinen Anspruch auf die Krone Böhmens durchsetzen, mit aller Härte fast im ganzen Land die Gegenreformation durchsetzen und alle Nichtkatholiken unterdrücken. Die Führer des böhmischen Aufstands wurden hingerichtet, viele protestantische Adlige enteignet und vertrieben, manche konvertierten um bleiben zu können. Die eingezogenen Güter konnten überwiegend katholische deutsche Adlige kaufen. Der Dreißigjährige Krieg verwüstete Böhmen stark. Plünderungsfeldzüge zwischen 1639 und 1640 hinterließen ein ausgeraubtes und zerstörtes Land. Etwa drei Viertel der ca. 3 Millionen Bewohner fielen dem Krieg zum Opfer, zwei Drittel der Städte und ca. 80 % der Dörfer waren zerstört. Die verbliebenen Bewohner mussten zwangsweise zur katholischen Lehre zurückzukehren, gerade in den Grenzregionen emigrierten ca. 100 000 nach Sachsen und Schlesien. Diese Emigration hatte neben der 1627 eingeführten böhmischen Landordnung, die absolutistisch war und die Mitbestimmung des Adels und der Städte nahezu abschaffte, zur Folge, dass das Land verarmte. Nach dem Krieg erfolgte die Besiedlung entvölkerter Landstriche mit Siedlern aus deutschsprachigen Teilen des Habsburgerreiches.

Kurz nach der Thronbesteigung durch Maria Theresia 1740 verlor Österreich im Ersten Schlesischen Krieg den größten Teil Schlesiens an Preußen. Nach ihrem Tod 1780 übernahm ihr Sohn Joseph II. die Herrschaft und schaffte 1781 die Leibeigenschaft ab. Sein Ersatz des Lateinischen als erster Amtssprache des Habsburgerreiches durch Deutsch löste bei den Tschechen und anderen Nationalitäten Unmut aus.

1804 wurden die habsburgischen Lande zum Kaisertum Österreich. Das Egerland, bis dahin ein uneingelöstes Pfandgebiet mit eigenständigen Institutionen, kam nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches im Jahre 1806 zu Böhmen. Nach dem Wiener Kongress regte sich unter dem böhmischen Adel schon früh Widerstand gegen die Politik Metternichs. Die Märzrevolution von 1848 fand auch in Böhmen, vor allem in Prag statt. In deren Gefolge kam es im Juni des Jahres in Prag zu einem Slawenkongress, bei dem der Historiker František Palacký eine entscheidende Rolle spielte. Hauptforderung des Kongresses war eine gleichberechtigte Rolle der Slawen in der Donaumonarchie. Als Kaiser Ferdinand I. dessen Forderungen ablehnte, kam es am 13. Juni 1848 zum Prager Pfingstaufstand gegen die österreichische Herrschaft in Böhmen, der jedoch schon nach drei Tagen mit militärischer Gewalt niedergeschlagen worden war.

Seit dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 gehörte Böhmen zum cisleithanischen Teil der Doppelmonarchie. Im Jahr 1880 kam Tschechisch neben Deutsch als weitere Amtssprache in Böhmen hinzu, allerdings erfolgte die zweisprachige Verwaltung bei Gemeinden mit bedeutendem tschechischen Bevölkerungsanteil. Ebenfalls 1882 gestaltete man das Wahlrecht etwas demokratischer, weshalb nun die Tschechen seit 1883 die Mehrheit im böhmischen Landtag hatten. 1897 erließ der österreichische Ministerpräsident Graf Badeni eine Nationalitätenverordnung für Böhmen und Mähren, nach der dort alle politischen Gemeinden zweisprachig zu verwalten waren. Damit war Tschechisch nun in beiden Kronländern Nationalsprache. Aus Protest dagegen legten deutsche Abgeordnete den österreichischen Reichsrat lahm, die Regierung musste zurücktreten und 1899 die Nationalitätenverordnung wieder aufgehoben werden. Daher blockierten die tschechischen Abgeordneten die Parlamentsarbeit in Wien und die deutschen jene in Prag. Ein österreichisch-tschechischer Ausgleich war zwar angestrebt, jedoch nie erreicht worden. Laut Volkszählung 1910 betrug der tschechische Bevölkerungsanteil der 6.770.000 Einwohner Böhmens 63,2 % und der deutsche 36,8 %. Während die Mischsituation politisch zur Blockade führte, war sie in anderer Hinsicht äußerst produktiv: Böhmen hatte die modernste Industrie unter den österreichischen Kronländern.

Am 28. Oktober 1918 wurde die Tschechoslowakische Republik gegründet. Rechtliche Grundlage für die Errichtung des neuen Staates war das Gesetz über die Errichtung des selbstständigen tschechoslowakischen Staates vom 28. Oktober 1918. Der Staat ging aus den vorher zu Österreich gehörenden Gebieten Böhmen, Mähren und Österreichisch-Schlesien sowie aus den zu Ungarn gehörenden Gebieten Oberungarn (Slowakei) und Karpato-Ukraine (Podkarpatská Rus, heute Oblast Transkarpatien/Ukraine) hervor. Der neue Staat bestand 1921 aus 14 Millionen Menschen, von denen 50,82 % Tschechen, 23,36 % Deutsche. 14,71 % Slowaken, 5,57 % Ungarn und 3,45 % Ruthenen waren.

1919 brach der Polnisch-Tschechoslowakische Grenzkrieg um das Olsa-Gebiet aus. Der Streit um ein verhältnismäßig sehr kleines Gebiet konnte endgültig erst 1958 beigelegt werden. Auch kleinere Gebietsforderungen Polens an der Nordgrenze der heutigen Slowakei führten immer wieder zu Spannungen. Durch die Pariser Vorortverträge nach dem Ersten Weltkrieg kam es zu weiteren kleineren Gebietsveränderungen: Deutschland musste nach dem Friedensvertrag von Versailles das Hultschiner Ländchen (tschechisch Hlučínsko) abtreten (10. Januar 1920), Österreich musste im Vertrag von Saint-Germain zwei kleine Gebiete Niederösterreichs an die Tschechoslowakei abtreten (31. Juli 1920), beide aus eisenbahnstrategischen Gründen. Mit Ungarn kam es durch den Vertrag von Trianon zu einem Austausch zweier Gemeinden. Mit Rumänien kam 1921 es im Zuge des Vertrags von Sévres zu einem Gebietsaustausch in der Karpato-Ukraine.

Als erster Präsident wurde der Philosoph und Soziologe Tomáš Garrigue Masaryk gewählt. Der Tschechoslowakischen Nationalausschuss, im Juni 1918 aus Vertretern tschechischer Parteien entsprechend den Wahlergebnissen von 1911 zusammengesetzt, verabschiedete die provisorische Verfassung von November 1918. Die Tschechoslowakei war ein heterogener Staat, dessen Bevölkerung aus etwa 51 % Tschechen, 15 % Slowaken, 23 % Deutschen 5 % Ungarn und 4% Ukrainern bestand.

Die Verfassungsurkunde der Tschechoslowakischen Republik wurde am 29. Februar 1920 angenommen – nicht durch ein gewähltes Parlament, sondern durch die sogenannte Revolutionäre Nationalversammlung, die durch eine Erweiterung des oben genannten Nationalausschusses gebildet worden war. Von den 270 Abgeordneten der Nationalversammlung waren den Slowaken 54 Sitze zugeteilt worden. Die Deutschen in Böhmen und Mähren, welche die Gründung des neuen Staates überwiegend ablehnten, sie hatten einen Anschluss an Österreich geplant, den die Siegermächte untersagten, boykottierten die Nationalversammlung und versäumten so die Gelegenheit, die Entstehung eines neuen Staates zu beeinflussen. Nach Masaryks Rücktritt 1935 wurde sein engster Mitarbeiter Edvard Beneš zu seinem Nachfolger.

Die Weltwirtschaftskrise traf auch die Tschechoslowakei in den Jahren 1929 bis 1933. Die Zahl der Arbeitslosen belief sich auf etwa eine Million, gerade in den Grenzregionen war sie besonders hoch. Die Zeitspanne 1934 bis 1938 brachte neben einem weiteren wirtschaftlichen Niedergang eine zusätzliche Gefahr, denn in den Grenzgebieten mit überwiegend sudetendeutscher Bevölkerung, unzufrieden mit ihrer Stellung im Staat, fand die Sudetendeutsche Partei von Konrad Henlein, der sich immer mehr Hitler zuwandte, immer mehr Anhänger. Viele Sudetendeutschen lehnten die Verpflichtung zum Erlernen der Staatssprache ab, wie sie in den zwanziger Jahren überhaupt in einer grundlegenden Opposition gegenüber den neuen Machthabern verharrten. Unzufrieden waren auch die Slowaken, die innerhalb des Staates keine Autonomie erhalten hatten.

Mit dem Münchner Abkommen vom 29. September 1938 musste die Tschechoslowakei ihr gesamtes Grenzgebiet zum Deutschen Reich mit mehrheitlich deutschsprachiger Bevölkerung (Sudetenland) an dieses abtreten. Ungarn sowie Polen durften ähnliche Forderungen stellen, was sie auch taten. In den besetzten Gebieten fanden zunächst Vertreibungen und Morde an Tschechen sowie Massenmorde und Verschleppungen von tschechischen Juden und Sinti beziehungsweise Roma statt. Die darauf folgenden Vergeltungsaktionen, wie zum Beispiel Sabotageakte tschechischer Widerstandskämpfer, führten erneut zu grausamen Aktionen durch die Wehrmacht und die SS.

Präsident Edvard Beneš legte am 5. Oktober 1938 sein Amt nieder und emigrierte nach London. Am 2. November verlor die Slowakei durch den Ersten Wiener Schiedsspruch etwa ein Drittel des Staatsgebietes an Ungarn. Am 14. März 1939 stimmte das slowakische Parlament einstimmig für die Selbstständigkeit. Einen Tag später, am 15. März 1939, besetzte die Wehrmacht die sogenannte Rest-Tschechei. Dieses Gebiet wurde zum Reichsprotektorat erklärt. Gleichzeitig besetzte Ungarn die Karpatenukraine.

Das 1939 entstandene Protektorat Böhmen und Mähren umfasste die überwiegend von Tschechen bewohnten Teile Böhmens und Mährens. Da das Protektorat intensiv für die deutsche Kriegsrüstung genutzt wurde, fanden hier weniger Massenmordaktionen statt als in anderen besetzten Ländern östlich von Deutschland. Von den rund 120.000 Juden der böhmischen Länder ermordeten die Nationalsozialisten rund 78.000. Weiterhin fanden Verschleppungen in das Konzentrationslager Theresienstadt / Terezín und in andere Arbeitslager außerhalb des Protektorats statt. Zudem wurden etwa 8000 Tschechen ermordet, davon etwa 1700 während der Terrorwelle nach dem Heydrich-Attentat (1942). Die genauen Opferzahlen der NS-Herrschaft in der Tschechoslowakei sind bis heute nicht geklärt: die Forschung rechnet mit 330.000 bis 360.000 Opfern, darunter rund 270.000 Juden. Nach dem tödlichen Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich machten die Nationalsozialisten am 10. Juni 1942 das Dorf Lidice und den Weiler Ležáky dem Erdboden gleich. Die Slowakei dagegen entging bis auf einen kleinen Streifen entlang Mährens der Besetzung durch deutsche Truppen, musste aber in der Folge mit Deutschland einen „Schutzvertrag“ abschließen. Die jüdischen Slowaken wurden aber in Arbeitslager ins Ausland verschleppt.

In London gründete Beneš 1940 die Tschechoslowakische Exilregierung, deren Präsident er selbst wart. Großbritannien, später auch die USA und die Sowjetunion erkannten die Exilregierung an. Mit diesen Partnern vereinbarte Beneš noch während des Krieges die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei. Nach dem Ende des Krieges konnte die Tschechoslowakei nahezu in ihren Grenzen von 1937 wiederhergestellt werden. Die Karpato-Ukraine war bis 1946 wieder formal Teil des Staates, wurde 1946 bis auf den Ort Lekárovce vertraglich an die Sowjetunion abgetreten und Teil der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik.

Im Zuge der sogenannten wilden Vertreibungen kam es im Frühjahr 1945 zu sowohl geplanten als auch spontanen Aussiedlungen von etwa 800.000 Deutschen über die Grenzen nach Österreich und Deutschland. Die Potsdamer Konferenz vom 25. Juni bis 2. August 1945 legte die Aussiedlung der Deutschen fest. Zwischen dem Februar und 24. Oktober 1946 erfolgte deren Zwangsaussiedlung mit der Bahn. Insgesamt waren etwa 2,9 Millionen Deutsche betroffen, deren Vermögen vollständig konfisziert worden war. Die in Österreich befindlichen Sudetendeutschen kamen zum Großteil nach Deutschland. Ursprünglich war auch die Vertreibung der ungarischen Minderheit aus der Südslowakei geplant, wozu es aber nicht kam.

Literatur:
Friedrich Prinz: Böhmen und Mähren. Deutsche Geschichte im Osten Europas 2. Aufl. Berlin, Siedler 1993
Walter Koschmal, Marek Nekula, Joachim Rogall (Hrsg.): Deutsche und Tschechen. Geschichte – Kultur – Politik. Becksche Reihe. Nr. 1414. 2. durchgesehene Auflage. München, C.H. Beck 2003,
Jörg K. Hoensch: Geschichte Böhmens. Von der slavischen Landnahme bis zur Gegenwart. Becks historische Bibliothek. 4. Aufl. München, C. H. Beck 2013
Joachim Bahlcke: Geschichte Tschechiens: Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. München, C.H. Beck 2014

Berlin, den 27. November 2022.
Andreas Rösler


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